Blind date

„Mein Brustbein ist gebrochen!“, sagt sie,  fast ein wenig stolz,  weil sie schon wieder so tapfer unterwegs ist,  schließlich ist sie ja schon vierundachtzig! Ihr hohes Alter, meint sie lächelnd, sei allerdings wohl auch der Grund dafür,  dass die kleine Polizistin die Augenbrauen hochgezogen und „das muss ich eigentlich melden“ gemurmelt habe, und dann noch: „Na ja, wir werden sehen“.

Die alte Dame ist noch sehr beeindruckt von den Ereignissen der letzten Woche und erzählt in aller Ausführlichkeit, wie sie den auf der Linksabbiegerspur auf eine Gelegenheit zum Losfahren wartenden Wagen glatt übersieht und mit Tempo 40 ungebremst auffährt. Vor allem aber, und noch ausführlicher, erzählt sie von dem „netten Herrn“, der nach dem Unfall „einfach da ist“ und sich um sie kümmert, während die Polizei anderthalb Stunden verstreichen lässt, bis sie am Unfallort erscheint: „Er ist die ganze Zeit bei mir geblieben und hat mich getröstet“, sagt sie noch ganz gerührt davon, „den Schrecken hab‘ ich dabei fast vergessen. Er hat sogar noch zwei Stühle aus einem Restaurant besorgt und Wasser, und dann haben wir da eigentlich ziemlich gemütlich gesessen und über die Sache ganz ruhig gesprochen, so ein netter Mensch!“ „Das find‘ ich aber auch!“, sag‘ ich ganz aufrichtig und staune nicht schlecht, als sie hinzufügt: „Wenn Sie bedenken, dass ich da gerade in seinen Wagen reingerauscht war!“

Oho! Aha! Ich begreife erst jetzt, dass es sich bei dem „netten Herrn“ um den „Unfallgegner“ handelt, wie ihn die Versicherungen nennen werden, ganz zu Unrecht, wie ich meine, als Gegner hat er sich ja wahrlich nicht erwiesen!
„Er hat mich inzwischen auch schon angerufen“, sagt sie noch, und setzt nach einer kleinen Atempause hinzu: „Und ich ihn dann auch … ich glaube, wir sind befreundet!“

Da lacht sie hell auf, und ihr Lachen kommt aus großer Tiefe, wie bei jemandem, der schon lange weiß, was „befreundet“ wirklich bedeutet.

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